Aktuell (Ende März 2021) legt gerade das Containerschiff EVERGREEN den kompletten Schiffsverkehr im Suezkanal lahm.

Während man sich um die Ironie des Universums wundern kann, dass das Schiff genau diesen Namen trägt (und fast zeitgleich in Taiwan ein LKW mit gleicher Beschriftung eine Autobahn blockiert), bietet diese Situation aber eine gute Ausgangslage, um das eigene Leben, sowohl geschäftlich wie auch privat, einmal nach solchen Suezkanälen und EVERGREENS zu durchsuchen.

Denn was wir hier sehen sind wieder vergleichsweise kleine Ereignisse, die einen riesigen Effekt auf die Welt, bzw. auf uns persönlich haben können.

Sogenannte „Single Points of Failure“ oder „SPOF“ (einzelne Ausfallpunkte) sind Orte, Ereignisse oder auch Menschen, die dafür sorgen können, dass unser Leben also durchaus massiv durcheinander gerät.

In diesem Artikel wollen wir uns anschauen wie wir diese sowohl vorab besser erkennen können und wann und wo es sich lohnt, einen Plan B in der Hinterhand zu halten und wann nicht.

Beginnen wir einmal mit den Orten:

Wenn du die Flaggentheorie schon etwas kennst, wirst du wissen, dass alles auf einen einzelnen Ort zu setzen keine gute Idee ist. Das kann sein, dass du nur ein Haus in einem einzigen Land hast, dass auch noch das Land deiner Staatsbürgerschaft, deines Unternehmens und deines Lebenspartners bzw. deiner Lebenspartnerin ist. Ändern sich die Bedingungen an diesem Ort (sei es durch Gesetzesänderungen, Naturkatastrophen, soziale Veränderungen, etc.) hast du auf einmal ein länger andauerndes Problem. Sicherlich kannst du dann (hoffentlich) immer noch einfach deinen Wohnort und dein Unternehmen an einen anderen Ort verlagern und deinen Partner oder deine Partnerin mitnehmen, doch kann dies ein nicht zu unterschätzender Kraftakt sein, wenn z.B. durch diesen „Ausfall“ auf einmal auch dein Einkommen nicht weiter fließt und du nur begrenzte Rücklagen hast.

Aber selbst wenn du hier glaubst schon etwas vorgebaut zu haben und z.B. deine Wohnung in einem anderen Land hast als deine Staatsbürgerschaft und dein Unternehmen auch wieder woanders angesiedelt ist, kann z.B. eine sich ändernde Visapolitik eines Landes ein SPOF sein, so dass du auf einmal nicht mehr ins Land zu deiner Immobilie einreisen kannst, oder deinen Unternehmenssitz nicht mehr oder nur mit zusätzlichem bürokratischen Aufwand aufsuchen kannst.

In diesem Beispiel hast du zwar die Orte diversifiziert aber noch immer kein Backup aufgebaut.

Sicherlich ist es fraglich ob es sich lohnt, eine zweite Immobilie irgendwo vorzuhalten, nur dafür, dass dir irgendwann einmal das Visum für dein Hauptwohnsitzland entzogen wird, oder ob du – z.B. im produzierenden Gewerbe – irgendwo eine zweite Produktionsstätte eröffnest nur für den Fall, dass die erste Halle abbrennt. Was sich aber durchaus auszahlt ist einen solchen Ausfall einmal im Geist durchzuspielen, also dir die Frage zu stellen, ob du z.B. ausreichend finanzielle Rücklagen hast um mal ein halbes Jahr oder ein Jahr in AirBnBs oder Hotels zu wohnen, bis die alte Immobilie verkauft und eine neue gefunden ist, oder ob es Drittanbieter gibt, an die du übergangsweise deine Produktion auslagern kannst, bis deine neue Produktionsstätte wieder am Start ist und du genug Kapital im Unternehmen hast, um solange Mitarbeiter zu bezahlen.

Doch neben konkreten, ortsabhängigen, SPOF gibt es auch Ereignisse, die nichts mit einem bestimmten Ort zu tun haben, sondern global dein Setup in Schieflage bringen können.

Ein sehr gutes Beispiel hierfür sind neue Technologien. Zum einen könntest du bei deinem Produkt oder deiner Dienstleistung auf eine gewisse Technologie setzen um dieses herzustellen oder die Leistung abliefern zu können, und diese Technologie wird durch eine „bessere“ ersetzt und eingestellt, du bist aber darauf nicht vorbereitet. Zu anderen kann es sein, dass die Technologie zwar weiter existiert, wird aber vom Kunden nicht mehr nachgefragt.

Ein Beispiel für die erste Situation ist, dass das Unternehmen Adobe Anfang des Jahres 2021 den Support und die Weiterentwicklung seines Browserplugins „flash player“ de facto eingestellt hat. Wenn du jetzt Webseitenprogrammierer mit Expertise „Flash“ bist, ist dir innerhalb kürzester Zeit dein Expertenstatus weggebrochen, oder wenn du Coach oder Beraterin bist, die „Flash“ z.B. für Visualisierungen oder Kalkulationen auf ihrer Webseite oder in Angeboten nutzte, musst du von heute auf morgen diese Dinge auf eine neue Technologie umziehen. Das bringt sowohl unerwarteten finanziellen Aufwand als auch in vielen Fällen noch ein Imageproblem beim Kunden mit sich, der sich denkt, dass du mit veralteten Dingen hantierst.

In manchen Situationen wirst du statt diesem technologischen Wandel auch die Möglichkeit haben, dem Betreiber der Technologie sehr viel Geld zu zahlen, dass er das Produkt auf das du angewiesen bist, für dich künstlich am Leben erhält. So findest du z.B. bei Fluggesellschaften auch heutzutage immer noch Nadeldrucker und textbasierte Mainframeterminals, weil es für die Airlines günstiger ist, diese Technologie weiter zu finanzieren, als einen weltweiten Umstieg auf eine neue Technik zu vollziehen. Für solche Aktionen brauchst du aber eine so große „Kriegskasse“ dass das eher Konzernen vorbehalten ist. Als „Endanwender“ bei Adobe anzurufen und um ein weiteres Sicherheitsupdate von „Flash“ zu bitten, dürfte in der Praxis kläglich scheitern.

Für das zweite Beispiel, dass die Technologie weiter existiert aber nicht mehr nachgefragt wird, bietet sich der Wandel von CDs/DVDs auf denen Musik oder Filme gemietet oder gekauft werden konnten zu online Streamingdiensten an.

Während du in vielen Ländern zwar auch heute noch Filme und Musik in einigen Elektronikläden auf CD oder DVD kaufen kannst, wird ein Großteil dieser Unterhaltung inzwischen über das Internet ausgespielt. Während es sich für die Filmstudios und größere Musikverlage noch lohnt einige CDs oder DVDs in die Regale zu stellen (um die Zielgruppen abzuholen, die das mit dem Internet noch nicht so verstanden haben), ist hingegen das Geschäftsmodell einer Videothek (ein Geschäft in dem man Filme auf DVD ausleihen kann) fast vollständig verschwunden. Ein klassischer Fall, in dem hier ein SPOF nicht erkannt wurde, war die Videoverleihkette Blockbuster, die in den Anfängen der Streamingdienste die Option hatten den Dienst Netflix für 50 Mio US Dollar zu kaufen, aber ablehnten, das sie in dem Geschäftsmodell keine Zukunft sahen. Inzwischen hat Netflix die Umsätze von Blockbuster längst überholt.

SPOF kann also auch dein eigenes Geschäftsmodell selbst sein, wenn du dieses nicht stets analysierst, ob es noch zukunftstauglich ist. Gerade das Thema „künstliche Intelligenz“ dürfte in naher und mittlerer Zukunft noch für einige Branchen und Geschäftsmodelle Überraschungen bereit halten.

Die nächste große Quelle von SPOF sind: Menschen

Und bei Menschen macht es keinen Unterschied, ob das jetzt geschäftliche Kontakte sind, wie z.B. dein größter Kunde, ein Mitarbeiter mit besonderem Fachwissen, ein Lieferant eines ganz bestimmten Bausteins deines Produktes, etc, oder ob es Menschen in deinem privaten Umfeld sind, z.B. Familienmitglieder, Freunde oder dein Partner/deine Partnerin.

Bei den geschäftlichen Kontakten liegt der SPOF auf der Hand: Wenn du einen Kunden hast, mit dem du 80% deines Umsatzes machst und dieser Kunde insolvent geht, hast du ein Problem. Wenn es in deinem Unternehmen nur einen Mitarbeiter gibt, der das Wissen hat den großen Server neu zu starten damit die Bestellungen ausgedruckt werden und dieser Mitarbeiter vom Auto überfahren wird, hast du Lieferstillstand, wenn in der Fabrik deines Lieferanten, der dir ein wichtiges Bauteil just-in-time liefert gestreikt wird, steht deine Produktion still. Mit dem richtigen unternehmerischen Denkansatz kannst du hier aber recht einfach deine Kundenbasis verbreitern, Fachwissen aufteilen oder dokumentieren und Lieferketten diversifizieren.

Bei Kontakten im privaten Bereich ist ein SPOF oft gar nicht so leicht zu erkennen, weil er sich weniger auf messbare Dinge wie dein Einkommen oder deine Verkaufszahlen bezieht, sondern auf Dinge, die eher abstrakt dafür sorgen, dass es dir nicht gut geht.

Stell dir vor, du ziehst alle deine Glücksgefühle (oder Bestätigung, Unterstützung, Sicherheit,…) aus der Beziehung mit deinem Partner oder deiner Partnerin und er/sie verlässt dich unvorbereitet. Nicht nur, dass hier ggf. im Falle einer Scheidung auch wieder ein Geldproblem auftreten kann, viel mehr fällst du in ein emotionales „Loch“ weil du selbst gar nicht mehr die Fähigkeit hast (oder es glaubst), die Glücksgefühle für dich selbst zu erzeugen.

Je länger du schon unternehmerisch und finanziell erfolgreich bist, desto mehr wirst du das alte Sprichwort bestätigen können: Geld alleine macht nicht glücklich.

Und wenn auf einmal die einzige Quelle deines Glücks (die Frau / der Mann) in deinem Leben weg fällt, machen sich oft die fehlenden Glücksgefühle auch in allen anderen Bereichen bemerkbar, z.B. dass du „den Blues“ beim Arbeiten hast, in negativen Gedankenströmen versinkst und deshalb weniger Freunde triffst, etc.

Im Gegensatz zu den geschäftlichen Dingen lautet hier die Antwort eher nicht Diversifikation sondern eher Autarkie.

Sicherlich mag es für einige Menschen ein Weg sein, sich mehrere externe „Glückslieferanten“ zuzulegen, um nicht von einem Menschen abhängig zu sein, doch der stärkste Ansatz ist hier der, das Glücksgefühl in dir selbst erzeugen zu können. Denn nicht nur gibt dir das die Macht dich selbst jederzeit glücklich, zufrieden, sicher,… zu machen, sondern – ohne jetzt in dieser Betrachtung zu esoterisch werden zu wollen – glückliche Menschen ziehen andere glückliche Menschen an und du der Rest des Lebens wird so viel erträglicher.

Abschließen wollen wir die Übersicht mit dem MISPOF (most influential single point of failure – dem SPOF mit dem größten Einfluss): Du selbst und dein Mindset

Was wir Menschen besonders gut können, ist uns selbst zu sabotieren, egal ob bewusst oder unbewusst:

  • Statt, dass Angebot für den Kunden zu schreiben lieber noch eine Staffel Netflix schauen? ✅
  • Statt mit dem Produkt auf den Markt zu gehen lieber doch noch eine weitere Studie machen? ✅
  • Statt ein Business durch zu ziehen nach ein paar Tagen entscheiden: Das ist doch nichts für mich ich fange lieber was neues an? ✅ (Heutzutage bekannt als Scannerpersönlichkeit)
  • Statt jemanden auf der Straße anzusprechen lieber in sozialen Medien „stalken“? ✅
  • Statt zu denken „was wenn das richtig gut wird“ lieber zu zweifeln „was wenn das daneben geht“?✅

Und noch viel mehr dieser Dinge halten uns täglich von ab, nach vorne zu kommen, und damit werden wir zum MISPOF für uns selbst.

Wir sind sozusagen die EVERGREEN in unserem eigenen Suezkanal.

SPOF finden, analysieren und beseitigen (oder damit leben)

Um die unterschiedlichen SPOF in deinem Unternehmen und deinem Leben allgemein zu finden, ist es wichtig, jeden einzelnen Schritt und jeden einzelnen Beteiligten auf die Probe zu stellen und zu überlegen: Was könnte genau an dieser Stelle so richtig und katastrophal schief gehen?

Das widerspricht auf den ersten Blick zwar etwas der obigen Aussage, dass wir lieber denken wollten „was wäre, wenn das richtig gut wird“, doch ist es eine andere Denkweise auf der Basis von Fakten und Lösungen (wenn: X dann: Y sonst: Z) auf der Spur zu sein, als von Anfang an anzunehmen, dass etwas gar nicht klappen kann.

Im Bereich der Orte kannst du dir Fragen stellen wie:

  • Was wenn eine andere Partei in dem Land in dem ich wohne an die Macht kommt? Welche Gesetze können sich da ändern?
  • Was wenn hier ein Hurricane durchs Industriegebiet zieht?
  • Was wenn der Flug-/Schiffsverkehr ausfällt?
  • Was wenn Enteignungen stattfinden?
  • Was wenn Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden?
  • Was wenn es Handelsembargos gibt?
  • Was wenn andere Nachbarn einziehen?

Im Bereich der Ereignisse hingegen kannst du zum Beispiel folgendes bedenken:

  • Von welcher Technologie (Software, Endgerät, …) bin ich abhängig? Was wenn das von heute auf morgen obsolet wird?
  • Welche Erfindungen (KI, fliegende Autos, sich selbst schneidendes Brot, Reisen mit Lichtgeschwindigkeit, Gedankenübertragung,…) würden mein Geschäftsmodell komplett auflösen oder in Frage stellen?
  • Welche weltweiten politischen Entscheidungen (Grundeinkommen für alle, Reisesperren, Ende der Meinungsfreiheit, Enteignungen, Internetzensur, Abschaffung von Steuern,…) würden mir schaden?
  • Welche gesellschaftlichen Ereignisse (Verbot von Alkohol, Legalisierung von Drogen, Verfolgung von Homosexuellen, Rassismus, Änderung der Ladenöffnungszeiten,…) könnten mit gefährlich werden?

Und bei den Menschen kannst du analysieren:

  • Was passiert wenn Kunde Y kündigt und mich verklagen will?
  • Was passiert wenn Zulieferer Z seine Fabrik schließt?
  • Was passiert wenn eines meiner Kinder schwer krank wird?
  • Wie würde ich reagieren wenn meine Partnerin/mein Partner mich verlässt?
  • Was passiert wenn meine Eltern sterben?
  • Was wäre wenn meine Kinder nicht das Familienunternehmen übernehmen wollen?
  • Was passiert wenn ich von Person X Ablehnung erfahre?
  • Was passiert wenn mich meine Eltern enterben?
  • Wie würde ich handeln, wenn ich eine Person (geschäftlich oder privat) „aus dem Weg räumen“ müsste?
  • Was passiert wenn Mitarbeiter X mit dem Flugzeug abstürzt?

Und mit die schwerste Analyse, dein MISPOF kannst du mit Fragen wie:

  • Was wenn ich mich so sabotiere, dass ich das Business nicht an den Start bringe?
  • Was wenn ich mich so sabotiere, dass ich durch Perfektionismus niemals anfange?
  • Was wenn ich mich so sabotiere, ich jeden Tag einem anderen Schmetterling (Businessidee) hinterher renne, statt einen wirklich zu versuchen zu fangen?
  • Was wenn ich mich so sabotiere, dass ich niemals bei den Menschen, die ich in meinem Leben haben will „all-in“ gehe und das zeige oder ausspreche?
  • Was wenn ich meine Glaubenssätze nie hinterfrage?
  • Was stimmt eigentlich mit meinem Mindset nicht?

Gerade beim Kampf mit dir selbst (aber natürlich auch bei den anderen Arten von SPOF) kann es helfen, dir mehrere unterschiedliche Menschen zur Hilfe zu holen.

Denn unser Gehirn stattet uns selbst sehr schnell mit einer gewissen Betriebsblindheit aus.

Das sollten immer Menschen sein, die dir ungeschminkt die Wahrheit sagen, ohne vermuten zu müssen, für ihre Antwort Konsequenzen tragen zu müssen (oder denen diese Konsequenzen einfach egal sind). Sich von einem Familienmitglied helfen zu lassen, ist hier vielleicht nicht die beste Wahl, denn so steht am Ende der Sache der Familienfrieden in Gefahr („Du hast mir damals gesagt,..:“).

Fazit

Am Ende der Suche nach deinen SPOF wirst du irgendwann entscheiden müssen, welche Risiken du umgehen kannst, welche du absichern willst und in welchen Situationen du das Risiko, dass sich dein EVERGREEN quer stellt einfach in Kauf nehmen willst. Eine hundertprozentige Absicherung gegen alle Havarien gibt es nicht, und sein Leben nur auf der Suche nach der Absicherung von SPOF zu verbringen kann selbst zum persönlichen SPOF werden.